Alles wird gut.
 
Die Zweite Republik kommt zu sich selbst.
Vor einigen Jahren durfte ich in New York miterleben, wie sich ein Wirtschaftskammerpräsident am österreichischen Nationalfeiertag in feinstem Nachkriegsenglisch bei seinen amerikanischen Gastgebern erkenntlich zeigte. So bedankte er sich im Namen des österreichischen Volkes dafür, dass das amerikanische Volk Österreich befreit habe, in dem es 1955 seine Truppen abgezogen hatte. Damals klang das ziemlich gequält und holprig, war schlichtem Verdecken des Nazismus als Grund der alliierten Anwesenheit durch Wein- und Walzerseligkeit nach Manier des „1. April 2000" nicht allzu weit entfernt. Es trug im Übrigen auch zur angestrebten Würde der Veranstaltung wenig bei, dass die Angelegenheit mit dem Absingen der Bundeshymne durch eine sichtlich beschwipste und jeder Nationalelf in punkto Katzenmusik Konkurrenz machende Konsulatsbelegschaft beschlossen wurde.
Zwar wird allerorten hart daran gearbeitet, dass Peinlichkeit ein ständiger Aspekt österreich-nationaler Inszenierungen bleibt, und das Wort Peinlichkeit lässt in seiner etymologischen Abkunft von der Pein die ganze Dimension des in heimtückische Harmlosigkeit und Lächerlichkeit gekleideten Wahns erahnen. Doch hat die politische Kultur mittlerweile zu eleganteren Lösungen des geschichtsbildnerischen Problems gefunden, welches darin besteht, der mitunter durchaus
mehrheitsfähigen Destruktivität, die die österreichische Gesellschaft im 20. Jahrhundert entfaltet hat, ein Happy End anzudichten und alle Widersprüche zuzudecken.
So erscheint das Ge- und Bedenkjahr 1988 nur auf den ersten Blick als Vorläufer der diesjährigen Haupt- und Staatsaktion des geschichtsbewussten Nationalbekenntnisses. Stand jenes noch stark im Zeichen des in Form des Waldheimsyndroms aufgebrochenen Beschweigens eigener Anteile am Zivilisationsbruch, so funktioniert der Nationalsozialismus 2005 vorwiegend als Konfliktfolie, dessen beschwerliche aber glückliche Auflösung sodann in Szene gesetzt werden kann. Immerhin erlaubt diese Erzählung das Verbrechen zu benennen, was das Problem am internationalen Parkett einigermaßen löst. Es ist dann freilich die tapfere und entbehrungsreiche Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik, errungen nach Bombenleid und Hungersnot, die inszeniert wird, und zwar als gegen den Nazismus durchgesetzt, obwohl es auch mit seinen Ausläufern geschah, als trotz der alliierten Verwaltung errungen, obwohl die qua Besatzungsregime halbwegs nachgeholte bürgerliche Revolution den Anschluss an die Demokratien des Westens erst ermöglichte.
Die immer wieder angestrengten Versuche es doch wirklich wissen zu wollen, müssen so gar nicht mehr aufgenommen werden. Die gesellschaftliche Katastrophe kann unverstanden bleiben, weil der Nationalsozialismus nach gelungenem Wiederaufbau schlicht historisch erledigt ist. Die Erwartung solcher Erkenntnis, die nicht anders denn als Projekt gesellschaftlicher Emanzipation zu haben ist, an einen Staat zu richten, wäre selbstverständlich naiv. Zwar hält die globalisierte Staatsräson einiges an Dezentrierung aus, aber die Einsicht, dass noch das schönste Denkmal der Nation im Appell der Erinnerung die auseinanderklaffenden geschichtlichen Erfahrungsräume nicht mehr zu schließen vermag, ist mit besonnenem Weitermachen nicht vereinbar. Was bleibt ist Staatsvertrag und Staatsoper, UNO Sitz und Ski-Weltcup, Steyr-Daimler-Puch und Kindergeld. Schönes Neues Österreich eben. Die nationalen Aporien des staatsförmig zugerichteten Gedenkens als Aufklärungsversäumnis aber sind von dieser Warte aus nicht mehr zu entziffern.
Sebastian Markt
ist unter anderem zweiter Sekretär an einem Institut
für Finanzmathematik. Er lebt in Wien. Anderswo
findet er es aber auch recht schön.
Editorial:
Liebe Leserin! Lieber Leser!
2005 wird gefeiert und gedacht was das Zeug hält. Neben den 60-50-10 Jubiläen, wird die Liste der mehr oder weniger verzichtbaren runden Jahrestage immer länger. So fällt es schwer zwischen 100 Jahre Friedensnobelpreis für Bertha von Suttner und 50 Jahre Wiedereröffnung der Spanischen Hofreitschule einen Zusammenhang herzustellen. Wozu auch, Hauptsache Österreich feiert sich selbst.
GEDENKDIENST versucht sich in dieser Ausgabe der Frage wie in Österreich erinnert und gedacht wird anzunähern. Einen kritischen Blick wirft Florian Wenninger auf die noch immer nicht Enden wollenden Aktivitäten des „Letter to the stars"-Teams. Dieses Jahr soll - warum auch immer - eine „Nacht des Schweigens" in der Gedenkstätte Mauthausen veranstaltet werden. Othmar Kastner stellt sich in seinem Artikel anhand des Hauptwerks von Emanuel Levinas Fragen zum Thema Gedenken.
Abgerundet wird diese Ausgabe durch zwei Artikel über die Veranstaltungsreihe ,Geh Denken!'. Christian Klösch konstatiert in seinem Bericht über die Partisanenwanderung 2004, dass Kärnten einfach anders ist. Niko Wahl informiert über Kontinuitäten bei der Verfolgung von Homosexuellen in Österreich während der NS-Zeit und in der Zweiten Republik. Zu guter letzt konnte auch wieder Florian Huber für eine seiner legendären Buchrezensionen gewonnen werden.
Eine interessante Lektüre wünscht
Stephan Roth
Chefredakteur GEDENKDIENST 
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